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The Museum of Everything
i-D no. 314, August 2011
PDF Version (englisch)
A SINGULAR NOTATION
Harald Stoffers’ Use of Language
Peter Heidenwag
Raw Vision #64 Autumn/Fall 2008
PDF Version (deutsch)
VISIONARIES IN A BUBBLE, SAFE FROM CONVENTION
New York Times, 25. Januar 2008
Robert Matthies:
"LIEBE MUTTI, ICH: WERDE JA..."
taz, 01.September 2007
Frank Keil-Behrens:
BUCHSTABEN TANZEN SO GERN VOR DEN AUGEN DER LEUTE
DIE WELT 16. Januar 2006
Am Anfang war ein Wort. Eines wie „Klebepistole" oder „Schelle". Harald Stoffers schrieb diese und andere Worte auf kleine Zettel und reichte sie an seine Arbeitskollegen in den Elbe-Werkstätten Harburg weiter; einer Arbeitsstätte für geistig Behinderte, wo Stoffers medizinische Utensilien wie etwa Einwegspritzen verpackte. Doch Stoffers beließ es nicht bei seinen gelegentlichen losen Zetteln, er baute sein Schreiben aus. Allmählich griff er zu größeren Blättern, linierte sie bald. Von nun an tanzen die Buchstaben auf den Linien, durchkreuzen sie, folgen ihren Wellen. 1999 schrieb er 38jährig und mittlerweile in den Elbe-Werkstätten Altona tätig, das erste Mal einen rief an seine Mutter.
Nach und nach sammelten sich von äußerster Akribie getragene Briefblätter, wahre Wort- und Linienlandschaften, gespickt mit sich ständig wiederholenden Satzbrocken, die nur bedingt einen direkten Sinn ergeben, so oft sie auch mit „Liebe Mutti" beginnen mögen. Mitte 2001 folgte der nächste Schritt: Einmal in der Woche geht Stoffers nun nicht in seine Werkstatt, sondern wechselt in die kleine weiße Villa auf dem Betriebsgelände, in seinen Malraum.
Das „Atelier in der Villa" versteht sich dabei ausdrücklich nicht als Ort der Kunsttherapie. Vielmehr tritt man an, junge und noch unbekannte Künstler und Künstlerinnen zu fördern und auch zu fordern. Frei nach dem Motto: Auch unter geistig behinderten Menschen gibt es kreative Köpfe darunter leibhaftige Künstler. Mittlerweile besteht das Atelier aus einem festen Kern von gut zwölf Künstlern, die hier malen, zeichnen oder Skulpturen fertigen.
Stoffers obliegt es nun, die Tür zu öffnen und voranzuschreiten: Raus will man aus dem geschützten Raum der betreuten Werkstatt, hinüberwechseln in die Welt der Kunst und auch in die noch rauhere der Kunstvermarktung.
Die Sache läuft recht gut an: Im Januar wird es eine erste Einzelausstellung mit Stoffers Briefwerken geben - nicht in Hamburg, sondern gleich in New York, wo er auch auf der Kunstmesse „Outsider Art Fair" vertreten sein wird. Zugleich ist dieser Tage ein Buch erschienen, daß einen ersten Einblick in sein Schaffen erlaubt: „Briefe/Letters". Gefertigt wurde es in der Druckerei der Elbe-Werkstätten, in Sichtweite von Stoffers kleinem Atelierraum, wo er auch in dieser Woche weitere Briefe schreiben und vorher seine Linien ziehen wird.
Gerd Bauder:
JENSEITS VON JEDEM
TAZ 26.November 2005
Briefe aus einer Welt des Authentischen: Ein Bildband gibt Einblicke in das wunderbare, unprätentiöse Werk des Hamburger Künstlers Harald Stoffers
Nichts an den Arbeiten des Hamburger Künstlers Harald Stoffers wirkt verstellt von Moden oder Klischees. Selbst das, was Zitat sein mag, ist eigenständig und in neue Zusammenhänge gefügt. nmittelbarkeit spricht aus seinem Werk. Stoffers hat einen authentischen Ausdruck, eine im wahrsten Sinne des Wortes eigene Handschrift gefunden. Vielleicht, weil Stoffers autodidaktisch und fernab von Kunstkreisen tätig ist.
Das Werk des Hamburgers sind auf den ersten Blick kunstvoll gestaltete Briefe, die er nach einem festen System fertigt: Zunächst rahmt Stoffers ein Blatt Papier. Hernach zieht er mit Tusche oder Filzstift in diesen Rahmen horizontale Linien, deren Verlauf sich immer nach der zuvor gezeichneten richtet. So kommt es zu Ausbuchtungen und Wellen, es „entstehen", wie der Kunstkritiker Jan Verwoert das nennt, „aus geschwungenen Linien ornamentale Formen". Auf und in diese Module zeichnet Stoffers dann mit seiner Kunstschrift, einer kantig gewordenen Schreibschrift. Seine meist schwarz auf weiß getuschten Lettern erinnern an expressionistische Grafiken. Jedes einzelne Wort seiner Sätze setzt er gewissenhaft voneinander ab und rhythmisiert mittels gelegentlicher Doppelpunkte die ein Satzende, aber auch eine Betonung andeuten können den Text. In diesem folgt er wiederum einem relativ festen Muster, fast jeden seiner Briefe beginnt Stoffers mit der Anrede: „Liebe Mutti, ich werde ja am Donnerstag [Dienstag etc.] also die ganz gute neue grüne [braune, karierte etc.] Hose bitte anziehen ..." Darauf folgen dann Ankündigungen über den Tagesverlauf, welchen Bus er wann und mit welchem Ziel nehmen wird etc.
In diesen Zeilen, einem Nachund Widerhall seines Autismus, geht es Stoffers indessen längst nicht mehr darum, seiner Mutter mitzuteilen, welche Hose sie ihm am folgenden Tage richten möge. Ganz im Gegenteil: Der Text, das, was Stoffers' Zeichnung auf den ersten Blick zum Brief macht, ist tatsächlich Motiv und Zeichenvorlage. Sicher, der Künstler bezieht konkrete Sachverhalte in seinen Text ein etwa die Farbe der Hose oder einen geänderten Fahrplan. Allein, im Mittelpunkt steht für den Vierzigjährigen eindeutig die Gestaltung. Die Verfeinerung, die Neuinterpretation und das Umspielen des immer gleichen Motivs oder Bildes, macht seine Arbeit so besonders. Der Künstler Stoffers hat sein Thema gefunden, er arbeitet längst an Variationen.
Mittlerweile mit zunehmendem Erfolg. In die Öffentlichkeit gelangten seine Briefe, an denen er nun seit gut zwanzig Jahren arbeitet, zwar erst in den letzten Jahren. Doch seit er Teil einer Hamburger Ateliergemeinschaft ist, spricht sich sein Talent herum. Mehrere Ausstellungen in der Bundesrepublik und zuletzt gar bei der „Outsider art fair" und in der Cavin Morris Gallery in New York zeigen: Stoffers' Hand schrift vermag zu beeindrucken. Die Bilder bleiben den Betrachtern in Erinnerung. Sie berühren. Um dem steigenden Interesse an Stoffers gerecht zu werden, veröffentlicht dessen Atelierleiter Peter Heidenwag nun einen Bildband mit ausgewählten Zeichnungen des Hamburgers. „Briefe/Letters", das dieser Tage im Revolver Verlag erscheint, vermittelt mit dreiundzwanzig Nachdrucken einen recht umfassenden Eindruck vom gegenwärtigen Stand der Stoffers'schen ZeichenKunst. Jenseits von postpostmoderner Selbstreferenzialität, abseits vom bunten Treiben der in crowds der Kunstszene und weit entfernt vom eingespielten Kulturbetrieb, vergewissern seine „Briefe/Letters" den Betrachter dessen, was Kunst so magisch macht: des Wahrhaftigen in ihr.
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